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„Sag mal was zu euren Frauen“ – ein Leitfaden für Interviewte.

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Es ist ein leidiges Thema– die Frage nach den weiblichen Piraten. Früher oder später wird jeder Pirat* mit ihr konfrontiert, häufig in Interviewsituationen. Leider erwischen wir dabei gerne Fettnäpfchen. Um das zu vermeiden und zu erklären, worin das Problem lag, möchte ich im Folgenden ein paar Aussagen von Piraten* analysieren und ggf. Alternativantworten vorschlagen. Die Zitate sind bewusst weder verlinkt noch mit Autor*en versehen, da hier niemand an den Pranger gestellt werden soll. Sie dienen lediglich als Anschauungsbeispiel.

„Der Nachwuchs würde zwar ein wichtiges Thema ansprechen, Diskriminierung jeder Art widerspreche aber ganz deutlich dem Selbstverständnis als Partei. »Dennoch können und wollen wir nicht jeden einzelnen Piraten und dessen Äußerungen kontrollieren«“
Problematisch sind hier zwei Dinge:
  1.  „Diskriminierung jeder Art widerspreche aber ganz deutlich dem Selbstverständnis als Partei.“ entspricht der weit verbreiteten Annahme, was in Satzung und Grundatzprogramm steht, entspräche automatisch der Realität. Dieses Denkmuster offenbart sich zum Beispiel auch in Aussagen wie „Also [ich bin | die Piratenpartei ist] Post-Gender“ (wobei oft fälschlicherweise angenommen wird, der Begriff Post-Gender stünde in Satzung oder Programm) oder „durch die Bezeichnung »Pirat« [müssen | werden] sich alle Parteimitglieder angesprochen fühlen, da dies in der Satzung so geregelt ist.“
    All diese Aussagen verkennen, dass eine diskriminierungsfreie Umgebung nicht dadurch entsteht, dass man sie als diskriminierungsfrei deklariert. Ein Bekenntnis gegen *ismen ist der erste (und essentielle) Schritt, was darauf aber folgen muss, ist ein Erkenntnisprozess: Herrschaftsstruktren und Privilegien müssen erkannt (und sich von allen Beteiligten selbst eingestanden) werden. Auf Basis dieser Erkenntnisse kann man danach beginnen, diese Strukturen in Frage zu stellen und zu dekonstruieren. Das ist ein unbequemer Prozess, der sich in keine Satzung schreiben lässt.
  2. »Dennoch können und wollen wir nicht jeden einzelnen Piraten und dessen Äußerungen kontrollieren«
    Das stimmt natürlich. Was für ein Argument diese Aussage darstellen soll, erklärt sich dennoch nicht. Was wir alle nämlich tun können, ist Verhalten und Aussagen, die unserem Selbstverständnis widersprechen, die Stirn zu bieten. Wenn sich jemand im Piratenkontext beleidigend oder diskriminierend verhält (und nichts anderes sind *istische Aussagen), liegt es an uns, dieser Person zu erklären, dass das gerade eben nicht okay war. Und zwar kollektiv. Das ist Teil des oben angesprochenen Lernprozesses. Zeigt sich die Person uneinsichtig („Ich bin kein Rassist, aber ich hab ja wohl das Recht, Menschen N— zu nennen…!“) ist ihre politische Heimat woanders.
Besser wäre zum Beispiel gewesen:
„Der Nachwuchs würde ein wichtiges Thema ansprechen, Diskriminierung jeder Art widerspreche nämlich ganz deutlich dem Selbstverständnis als Partei. »Natürlich können und wollen wir nicht jeden einzelnen Piraten und dessen Äußerungen kontrollieren. Diskriminierende Aussagen oder Taten werden bei uns dennoch nicht toleriert. Wir müssen uns alle um ein respektvolles Miteinander bemühen und uns notfalls auch gegenseitig ermahnen.«“
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„»Gender-Schwachsinn« nennt er die Quote. Man könne nicht eine Ungerechtigkeit durch eine andere beseitigen.“
Hier scheinen gleich mehrere Missverständnisse vorzuliegen. Zur Beseitigung dieser Empfiehlt sich die Lektüre folgender Texte:
Ein mit der Parteimeinung konformes und sachliches Statement könnte zum Beispiel so aussehen:
„»Eine innerparteiliche Quote halten wir bei uns für ein ungeeignetes Mittel zur Herstellung von Chancengleichheit.« Zur Quote in der Wirtschaft hätten die Piraten allerdings noch keine Position.“
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„Die Frauen wollen halt nicht so in der ersten Reihe stehen, da muss man dann ja manchmal vor hundert oder tausend Leuten sprechen.“
In die selbe Kategorie ordnet sich das oft gehörte „Unsere Frauen* leisten halt lieber Inhaltliche Arbeit.“ ein. Beide Aussagen waren und sind bestimmt nicht böswillig. Die in ihnen enthaltene Absicht, der Arbeit aller nicht-exponierten Piratinnen* Respekt zu zollen, begrüße ich natürlich. Das Problem an ihnen ist, dass sie das eigentliche Problem verkennen. Nämlich dass sich im vergleich zu den männlichen Piraten wesentlich weniger Frauen* für eine Kandidatur entscheiden. Gehen wir davon aus, dass die Ursachen hierfür nicht bei uns, sondern in der „Natur der Frau*“ liegen, widersprechen wir unserem Selbstverständnis. ;)
Außerdem zeichnen diese Sätze ein sehr stereotypes Bild von (Piraten)frauen*: ängstlich, beschützenswert, nicht Karriere- oder Machtorientiert. Frauen* in Machtpositionen sind in unserer Gesellschaft immer noch exotisch. Aussagen wie die oben genannten zementieren dies, indem sie die Arbeit von Frauen* im Hintergrund als „natürlich“ oder „die Norm“ auszeichnen.
( Ja, ein Piratenvorstand hat eine andere und wahrscheinlich auch weitaus weniger Macht als die Vorstände anderer Parteien. Komplett unbedeutend oder unkonnotiert ist ein derartiges Amt dennoch nie. )
Die Arbeit nicht-exponierter Piratinnen* würdigen und gleichzeitig darauf hinweisen, dass wir das angesprochene Problem durchaus erkannt haben könnte man beispielsweise mit folgendem Zitat:
„Wir erarbeiten gerade Strategien, um unsere Frauen, die im Hintergrund bereits großartige Arbeit leisten, stärker auch zu Kandidaturen zu ermutigen.“
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„Es gibt sie [die weiblichen Piraten], und sie sind zu wenige, aber das Geschlecht ist im idealistischen Menschenbild der Piraten auch ohne Belang, jedenfalls, wenn es um politisches Engagement geht.“
Das ist als Ziel sehr erstrebenswert, dabei darf aber nicht die momentane gesellschaftliche Realität außer Acht gelassen werden. Die Argumentation „Für uns ist das Geschlecht unsichtbar, wir haben also diesbezüglich kein Problem“ findet sich häufig bei Piraten*. Die Autor*en verkennen dabei aber leider, dass das simple Leugnen von (konstruierten!) Geschlechter[identitäte]n unsere gesellschaftliche Realität nicht abschafft.
Dass es so wenige Frauen* in der Politik und der Piratenpartei gibt, liegt nicht daran, dass man sie „Frauen“ nennt.
Das Problem liegt in struktureller Diskriminierung (Frauen werden nicht ernst genommen, verkommen zur Dekoration, sind mit Sexismen konfrontiert (und keiner sagt was), Mädchen wird Machtorientiertheit und Ehrgeiz abtrainiert, wenn Frauen jenes Verhalten zeigen, gelten sie als „Machtgeil“, „Stutenbissig“, „Rabenmutter“…).
Diese Umstände müssen wir endlich anerkennen. Zum eingangs beschriebenen Lernprozess gehört eben auch, sich einzugestehen, dass jahrzehntelange Prägungen nicht spurlos an einem vorbeigegangen sind und dass auch man selbst sexistisch und nicht vorurteilsfrei lebt. Denn erst dann kann man beginnen, diese Wahrnehmung zu bekämpfen (ja, das ist ein ganzes Stück Arbeit), anstatt nur die Augen vor dem Status Quo zu verschließen.
Besser:
„Es gibt sie [die weiblichen Piraten], und sie sind leider noch zu wenige. Wir versuchen aber auf das Geschlecht so wenig, wie nur möglich zu achten. Dieses sollte keine Rolle spielen. Das Ziel ist sehr erstrebenswert, dabei dürfen wir aber die Augen nicht vor der momentanen gesellschaftlichen Realität verschließen.“
– Dank an x-alina und Jorges für Korrekturen und Verbesserungsvorschläge.

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